Die PRIMUS Schule Münster - Berg Fidel - Geist - ist eine Modellschule des Landes Nordrhein-Westfalen mit gemeinsamem Lernen von Klasse 1 bis Klasse 10. Alle arbeiten in jahrgangsgemischten Klassen.
Grundstufe
Jahrgänge 1-3
Hogenbergstraße 160
Eingangsstufe
Jahrgänge 4-6
Grevingstraße 24
Hogenbergstraße 160
Stufe der Lernorte
Jahrgänge 7-9
Grevingstraße 24
Abschluss
Jahrgang 10
Grevingstraße 24
PRIMUS –
Schulversuch zum längeren gemeinsamen Lernen in
Primar- und Sekundarstufe
Bericht über die erste Phase
der wissenschaftlichen Begleitung
2014-2017
(Zusammenfassung)
Prof.’in Dr. Ursula Carle | Universität Bremen
Prof.’in Dr. Christina Huf | Universität Münster
Prof. Dr. Till-Sebastian Idel | Universität Bremen
Sven Pauling M.Ed. | Universität Bremen
Bremen und Münster, den 23.04.2018
Inhalt
1 Einleitung .
2 Leitideen und Rahmenkonzept zum Schulversuch PRIMUS
3 Fragestellungen und Design der wissenschaftlichen Begleitung
4 Zentrale Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der ersten Phase der
wissenschaftlichen Begleitung
5 Ausblick auf die zweite Phase der wissenschaftlichen Begleitung
6 Empfehlungen
1 Einleitung
Das vorliegende Papier fasst die zentralen Befunde der ersten Phase der wissenschaftlichen
Begleitung zum Schulversuch PRIMUS (2014-2017), die in einem ausführlichen Bericht parallel
vorgelegt werden, zusammen und formuliert Empfehlungen. Zu berücksichtigen ist,
dass es sich um ein Zwischenresümee handelt. Es bezieht sich auf die Phase der Errichtung
und des Aufbaus, die bereits mit der Initialisierung des Schulversuchs vor der Gründung der 5
Primus-Schulen (2013/14: Minden; 2014/15: Münster, Schalksmühle, Titz, Viersen) begonnen
hat und auch gegenwärtig noch anhält. Im Sinne einer Zwischenbilanz können zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nur Aussagen darüber getroffen werden, wie sich die 5 Primus-
Schulen an ihren Standorten einrichten bzw. unter welchen Bedingungen sie bislang aufwachsen
konnten und mit welchen Problemstellungen sie sich in ihrer Entwicklungsarbeit auseinandersetzen
mussten. Es verbietet sich damit eine abschließende Einschätzung des Erfolgs
und Gelingens des Schulversuchs, auch wenn die Entwicklung bis dato darauf hindeutet, dass
PRIMUS für Schulträger und Eltern eine attraktive und leistungsfähige Schulform unter bestimmten
sozialräumlichen Konstellationen sein kann, die für die Schüler/innen ein innovatives
und zukunftsorientiertes pädagogisches Konzept bereithält. Nach der Skizze der Leitideen
und des Rahmenkonzepts werden das Vorgehen der wissenschaftlichen Begleitung in der ersten
Phase, zentrale Beobachtungen und Erkenntnisse sowie Anschlussperspektiven für die
zweite Phase der wissenschaftlichen Begleitung (2017-2020) beschrieben. Die Zusammenfassung
schließt mit Empfehlungen, die aus den bislang vorliegenden Befunden abgeleitet werden
können.
2 Leitideen und Rahmenkonzept zum Schulversuch PRIMUS
Das grundlegende Ziel des Schulversuchs PRIMUS ist es, die in Deutschland etablierte institutionelle
Trennung zwischen Primar- und Sekundarstufe aufzuheben und die beiden Stufen
in einer inklusiven Schulform, die alle Bildungsgänge anbietet, zusammenzuführen. Rechtliche
Grundlage für den Schulversuch ist der Artikel 2 Absatz 2 des 6. Schulrechtsänderungsgesetzes
des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.10.2011. Dort heißt es: „Das Ministerium
kann auf Antrag des Schulträgers und nach Anhörung der betroffenen Schulen an bis zu 15
Schulen beginnend mit dem Schuljahr 2013/14 oder dem Schuljahr 2014/15 für einen Zeit3
raum von zehn Schuljahren und danach jahrgangsstufenweise auslaufend erproben, ob durch
den Zusammenschluss mit einer Grundschule zu einer Schule die Chancengerechtigkeit und
die Leistungsfähigkeit des Schulwesens erhöht werden und die Schülerinnen und Schüler
dadurch zu besseren Abschlüssen geführt werden können. Außerdem soll hierbei erprobt werden,
wie im Hinblick auf die demografische Entwicklung und die sich wandelnde Abschlussorientierung
der Eltern weiterhin ein wohnortnahes Schulangebot ermöglicht werden kann
(...).“ Die weiteren inneren und äußeren Gestaltungsvorgaben sind in einem Eckpunkte-Papier
vom 28.06.2012 und in einem Leitfaden zum Schulversuch fixiert worden.
Am Schulversuch nehmen 5 Schulstandorte teil, in jedem Regierungsbezirk des Landes befindet
sich eine Primus-Schule (siehe Tabelle 1). Bis auf die Primus-Schule Minden, die bereits
ein Jahr früher startete, haben alle anderen 4 Primus-Schulen zum Schuljahr 2014/15 die
ersten Schüler/innen aufgenommen. Während die Primus-Schulen Schalksmühle, Minden und
Münster parallel mit dem ersten und fünften Jahrgang in den Schulversuch eingestiegen sind,
wachsen die Primus-Schulen in Viersen und Titz mit der Primarstufe auf. Die Primus-Schulen
Minden und Viersen sind dreizügig, die Primus-Schulen Schalksmühle, Münster und Titz
zweizügig. Die Primus-Schulen sind schulrechtlich gesehen keine Schulfusionen bestehender
Schulen am jeweiligen Standort, sondern Neugründungen. Die Bestandsschulen, deren Angebot
durch die Primus-Schulen ersetzt wird, laufen mit dem Aufwachsen der Primus-Schulen
sukzessive aus. Die Primus-Schule Münster ist auf zwei Standorte aufgeteilt; die Primus-
Schule Viersen wird mit dem Einmünden der ersten Schüler/innen in Jahrgang 7 einen zweiten
Standort eröffnen. Beide Primus-Schulen sind horizontal geteilt, d.h. die unteren Jahrgänge
werden an einem, die höheren Jahrgänge am anderen Standort geführt. Die Primus-Schulen
in Minden, Schalksmühle und Titz sind jeweils auf einem Schulcampus angesiedelt.
Schulstandort Minden Schalksmühle Münster Viersen Titz
Regierungsbezirk Detmold Arnsberg Münster Düsseldorf Köln
Gründungsjahr 2013/14 2014/15 2014/15 2014/15 2014/15
Start in den Jahrgängen 1 & 5 1 & 5 1 & 5 1 1
Standorte 1 1 2 2 1
Teilung - - horizontal horizontal -
Zügigkeit 3-zügig 2-zügig 2-zügig 3-zügig 2-zügig
Tab. 1: Gründungsjahre und -jahrgänge der Primus-Schulen
Im Zentrum des Schulversuchs PRIMUS steht der Versuch,
durch Errichtung einer inklusiven Langformschule von Klasse 1-10 die äußere Trennung
von Primar- und Sekundarstufe zu überwinden, auf diese Weise den Übergang
zu entdramatisieren und damit kontinuierliche Schulbiografien zu ermöglichen sowie
inklusive und individualisierende Unterrichtsarrangements mit alternativen Formen
der Leistungsbewertung in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen bis zum Ende der
Sekundarstufe 1 zu erproben.
Mit Primus-Schulen soll der Versuch der konsequenten Weiterführung einer an Chancengerechtigkeit
orientierten Schulreform mit dem Ziel längeren gemeinsamen Lernens in einer
inklusiven, reformpädagogisch profilierten und leistungsfähigen Schule unternommen werden,
die die Schüler/innen zu den jeweils ihren Potenzialen entsprechenden Schulabschlüssen
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in einer kontinuierlichen Schullaufbahn an einer wohnortnahen, ab Klasse 4 bzw. 5 gebundenen
Ganztagsschule führt.
Die Primus-Schulen haben den Auftrag, „ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das die unterschiedlichen
pädagogischen Ansätze und methodisch-didaktischen Formen der Grundschule
und der weiterführenden Schulen miteinander verbindet und aufeinander bezieht“ (Leitfaden
zum Schulversuch, S. 6). Die schulstrukturelle Integration der beiden Schulstufen soll durch
eine enge Kooperation aller beteiligten Lehrkräfte in jahrgangsübergreifenden Teams über die
Stufen hinweg pädagogisch ausgestaltet werden. Dabei geht es insbesondere um die Nahtstelle
zwischen Primar- und Sekundarstufe, aber auch um anschlussfähige Lernarrangements und
„fließende Übergänge“ (Leitfaden zum Schulversuch, S. 11) zwischen allen inneren Übergängen
der Bildungsbiografie vom ersten bis zum zehnten Jahrgang. Im Aufbau der Primus-
Schulen am jeweiligen Standort müssen hierfür von den Kollegien passende eigene Arrangements
und Organisationsformen gefunden werden.
Im Leitfaden für die Schulen werden die unterrichtsbezogenen Erprobungsziele wie folgt
formuliert:
„Ziel ist es, durch individualisierte Unterrichtskonzepte auf das Leistungsvermögen jedes
Einzelnen einzugehen. Dadurch und durch das längere gemeinsame Lernen sollen neue
Chancen eröffnet und die Leistungsfähigkeit der Schüler/innen erhöht werden. Im Ergebnis
wird auf diese Weise das Selbstvertrauen gestärkt, um Schüler/innen so zu bestmöglichen
Abschlüssen zu begleiten.
Durch fachliches und fächerübergreifendes Lernen werden grundlegende Kompetenzen
und Einstellungen vermittelt, die ein wesentlicher Bestandteil einer Erziehung zur Mündigkeit
in einer offenen und pluralen Gesellschaft sind. Diese werden in der Schuleingangsphase
angebahnt und kontinuierlich weiterentwickelt“ (Leitfaden, S. 3f.).
3 Fragestellungen und Design der wissenschaftlichen Begleitung
Der Auftrag der wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuchs wurde im Rahmen einer
Ausschreibung vergeben, bei der aus einer Reihe von eingegangenen Begleitkonzepten ein
Konsortium der Universitäten Bremen und Münster in einem doppelt blinden Begutachtungsverfahren
durch externe Expert/innen den Zuschlag erhielt. Die wissenschaftliche Begleitung
hat den Auftrag, die Entwicklungsarbeit an den fünf Standorten des Schulversuchs zu beobachten,
zu dokumentieren und zu analysieren und den Schulversuch auf diese Weise formativ
zu evaluieren. Der Aufbauprozess der Schulen soll untersucht werden, und es sollen im
Verlauf gewonnene Erkenntnisse der wissenschaftlichen Begleitung über Berichterstattung
und im Austausch mit den Schulen in die Umsetzung des Schulversuchs eingespeist werden.
Die Befunde der wissenschaftlichen Begleitung sollen dazu beitragen, Ge- und Misslingensbedingungen
des Schulversuchs zu identifizieren. Die in der Ausschreibung des Ministeriums
für Schule und Weiterbildung aufgeworfenen Forschungsfragen (MSW 2014) lassen sich zu
vier Beobachtungsfeldern verdichten:
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1. Welches Gefüge bedingt die Errichtung der Primus-Schule am jeweiligen Standort?
Hierzu sind die Vorgeschichten und Entwicklungspfade der fünf Schulen aus einer expost-
Perspektive zu rekonstruieren.
2. Wie verläuft die Genese und weitere Entwicklung des pädagogischen Konzepts? Mit
dem Antrag auf Errichtung einer Primus-Schule musste auch ein pädagogisches und
schulorganisatorisches Konzept eingereicht werden. Es ist zu untersuchen, von wem
die pädagogischen Konzepte formuliert wurden, welche pädagogischen Zielsetzungen,
Programme und Entwürfe zu ihrer Umsetzung in ihnen enthalten sind. Dies ist ins
Verhältnis zu setzen zu den vorgegebenen konzeptionellen Eckpunkten und pädagogischen
Leitideen des Schulversuchs.
3. Wie werden die Zielsetzungen des Schulversuchs bearbeitet? Mit Blick auf die Realisierung
des jeweiligen pädagogischen Konzepts nach Errichtung des Schulversuchs ist
zu klären, wie diese Entwürfe umgesetzt, welche Erfahrungen damit gesammelt, wie
sie korrigiert werden und welche Probleme und Aufgaben im Schulentwicklungsalltag
entstehen. Genauer ist die Umsetzung des Schulversuchs im Hinblick auf folgende
Themen zu beobachten: Jahrgangsmischung und stufenübergreifenden Zusammenarbeit,
Haltekraft und Bindungswirkung, Umgang mit dem Ressourcen-Etikettierungs-
Dilemma und Entwicklung inklusiver Unterrichtskonzepte.
4. Wie positionieren sich die am Schulversuch beteiligten Akteure? Die Tragfähigkeit
und erfolgreiche Bewährung des Schulversuchs hängt nicht nur von strukturellen
Rahmenbedingungen und Voraussetzungen am Standort ab, sondern ebenso davon,
wie sich Akteure in den Schulversuch einbringen und welche Gelegenheiten sie erhalten,
den Schulversuch zu beeinflussen und mitzugestalten. Damit sind jene individuellen
Dispositionen angesprochen, die im Schulentwicklungsdiskurs als Akzeptanz, Haltung
und Innovationsbereitschaft insbesondere von Lehrkräften, aber auch von Eltern
und Schüler/innen bezeichnet werden.
Die Fragestellungen beziehen sich auf den Gesamtprozess der Umsetzung des Schulversuchs
PRIMUS. Nicht nur aus Gründen der Ressourcenausstattung ließen sich nicht alle Aspekte in
der ersten Phase der wissenschaftlichen Begleitung untersuchen, sondern vor allem auch aus
dem systematischen Umstand, dass sich der Schulversuch noch in seiner Aufbauphase befindet
und die Primus-Schulen noch im Aufwachsen sind. Gerade die Frage der Haltekraft im
Übergang zur Sekundarstufe ist ein wesentliches Beobachtungsfeld, das erst in der zweiten
Phase zum prominenten Gegenstand der wissenschaftlichen Begleitung gemacht werden
kann.
Die wissenschaftliche Begleitung verfolgt nicht das Vorgehen einer quantitativ angelegten
Wirkungsforschung. Sie richtet ihr Vorgehen am Ansatz einer qualitativen Prozessanalyse aus
und verwendet dafür Methoden der qualitativen Sozialforschung, insbesondere Interviews und
Gruppendiskussionen, aber auch Dokumentenanalysen und vereinzelte Unterrichtsbeobachtungen.
Schulentwicklungstheoretisch wird damit der Fokus auf die organisationalen und pädagogischen
Aktivitäten der vor Ort beteiligten Akteure und die in diesen geschaffenen inneren
Strukturen und Prozesse gelegt. Insbesondere wurden in den Untersuchungen in der ersten
Phase der wissenschaftlichen Begleitung die Aktivitäten der Schulleitungen und Kollegien
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beobachtet. Im Mittelpunkt der Beobachtung steht die Mesoebene der Schule als in einer bestimmten
Umwelt angesiedelte pädagogische Organisation und Handlungseinheit, in der die
Schulleitung und die Lehrpersonen Entwicklungsaufgaben und Problemlösungsstrategien
entwerfen, umsetzen, korrigieren und gegebenenfalls revidieren.
Als Begleitung hat das Konsortium auch an den Schulleiterdienstbesprechungen teilgenommen
und an der Konzeption und Organisation der bislang zwei Primus-Fachtage (jeweils im
Frühjahr 2017 und 2018) in Oberhausen mitgewirkt, an denen die Kollegien der 5 Primus-
Schulen Fragen der Entwicklung ihrer Schulen im Austausch miteinander diskutierten. Außerdem
konnte in der ersten Phase eine enge Abstimmung und fruchtbare Kooperation mit der
ministeriellen Ebene hergestellt werden.
4 Zentrale Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der ersten Phase der wissenschaftlichen
Begleitung
Der Schulversuch PRIMUS verfügt in seiner Anlage über eine bildungspolitische Alleinstellung
und kann ein besonderes Anregungspotenzial im Kontext der Einrichtung von
Schulen des längeren gemeinsamen Lernens freisetzen.
Grundsätzlich ist aus einer systemischen Perspektive auf die Alleinstellung des Schulversuchs
PRIMUS und sein besonderes Potenzial als Impulsgeber für die Schulentwicklung im Land
hinzuweisen. Nordrhein-Westfalen hat seit dem Schulpolitischen Konsens von 2011 seine
Schulstruktur weiterentwickelt und damit auf die demographische Entwicklung und gestiegene
Bildungsaspirationen sowie auf die vielfach durch verschiedenste Studien bundesweit immer
wieder dokumentierten Leistungs- und Gerechtigkeitsprobleme des Schulsystems reagiert.
Wie in vielen anderen Bundesländern, die mit ähnlichen Problemstellungen umzugehen
haben, wurden mit dem Schulversuch Gemeinschaftsschule bzw. der Sekundarschule als neuer
Regelschulform Schulen des längeren gemeinsamen Lernens eingerichtet.
Der Schulversuch PRIMUS nimmt in diesem schulpolitischen Kontext eine besondere Position
ein. Zum einen wird in diesem Schulversuch die Orientierung am längeren gemeinsamen
Lernen in der Zusammenführung der Primar- und Sekundarstufe in einer institutionalisierten
Langform noch konsequenter verfolgt als in den Gemeinschafts- bzw. Sekundarschulen, die
sich auf die Sekundarstufe I (mit Oberstufen-Option in der Gemeinschaftsschule) beschränken.
In keinem anderen Bundesland bzw. Schulversuch wird in dieser Konsequenz an der
Entdramatisierung der Problematik des Übergangs von der Primar- in die Sekundarstufe gearbeitet.
1 Zudem werden – vor dem Hintergrund der geringen prognostischen Validität der
1 Zwar gibt es auch in anderen Bundesländern Langformoptionen (z.B. in Baden-Württemberg, wo sich die Gemeinschaftsschulen
optional mit Grundschulen verbinden, oder in Hamburg oder Berlin, wo die Stadtteil- bzw.
Gemeinschaftsschulen ebenfalls, allerdings in Hamburg in teilorganisatorischer Eigenständigkeit, mit Grundschulen
zusammengehen können). Strukturell vergleichbar mit den Primus-Schulen sind am ehesten die Berliner
Gemeinschaftsschulen sowie einzelne Reformschulen wie die Laborschule Bielefeld, die Gemeinschaftsschule
Potsdam oder nicht-staatliche Schulen wie Waldorfschulen oder die freien Alternativschulen, die ein durchgängiges
Angebot von der ersten bis zur zehnten Klasse bereitstellen.
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Laufbahnempfehlungen und des nachweislichen Einflusses der sozialen Herkunft auf Schulwahlentscheidungen
– durch die Aussetzung des Übergangs nach Klasse 4 die Bildungswege
in der Sekundarstufe entwicklungssensibel offengehalten.
Zum anderen werden im Schulversuch PRIMUS in besonderer Weise durch die konzeptionellen
Vorgaben zur inneren Ausgestaltung der Schul- und Lernkultur, auf die sich die teilnehmenden
Schulen verpflichten mussten, Prozesse in der Schul-, Unterrichts- und Professionsentwicklung
vorangetrieben. Mit diesen Vorgaben, insbesondere den Erwartungen an jahrgangsgemischte
Lernarrangements und stufenübergreifende Konzepte zur Integration von
Übergängen sowie einen individualisierten Unterricht, wird im Schulversuch ein pädagogischer
Rahmen abgesteckt. Er wird von den fünf Primus-Schulen jeweils in eigenständiger
Weise ausgefüllt und eröffnet damit ausreichende Gestaltungsfreiräume. Diese pädagogische
Anlage verleiht dem Schulversuch ein besonderes Profil und eine ungewöhnliche Stringenz.
Der Schulversuch bietet damit nicht nur die Möglichkeit, eine Strukturalternative für bestimmte
Sozialräume (ländlich, kleinstädtisch bzw. Standorte mit wenig ausdifferenziertem
Schulangebot), sondern auch innerschulische Ansätze und Konzepte in der Schul- und Unterrichtsentwicklung
zu erproben, die für andere Schulen und Schulstandorte in Nordrhein-
Westfalen Impulse geben können.
An allen Standorten lässt sich eine stabile Nachfrageentwicklung beobachten. Erste Beobachtungen
lassen auch eine hohe Haltekraft der Primus-Schulen erwarten.
Ein wesentlicher äußerer Indikator für die Akzeptanz der Primus-Schulen sind die Anwahlzahlen
wie auch die realisierte Bindung der Schüler/innen und ihrer Eltern an die jeweilige
Primus-Schule über die Primarstufe hinaus. Als zentrales Gelingenskriterium kann man also
formulieren, dass der Schulversuch dann erfolgreich ist, wenn die Schulen in ausreichender
Weise nachgefragt werden, wenn sie die Schüler/innen bis hinein in die Sekundarstufe halten
können, wenn also wenig Schüler/innen die Schule verlassen, um ihre Schullaufbahn in einer
anderen Schulform fortzusetzen.2
Alle Schulen konnten bislang die für die jeweilige Zügigkeit erforderlichen Anmeldezahlen
ins erste Schuljahr, Schalksmühle, Münster und Minden auch die erforderlichen Anmeldezahlen
ins fünfte Schuljahr erreichen (vgl. Tab. 2).
Züge 2013/14 2014/15 2015/16 2016/17 2017/18
Minden (Jg.1/Jg.5) 3 65/ 94 57/ 81 62/ 73 59/ 73 60/69
Münster (Jg.1/Jg.5) 2 ---/--- 50/69 41/60 54/63 50/47
Titz (Jg. 1) 2 ---/--- 45 42 49 63
Schalksmühle (Jg.1/Jg.5) 2 ---/--- 58/ 60 52/ 57 68/ 60 60/ 49
Viersen (Jg.1) 3 ---/--- 74 75 74 67
2 Darüber hinaus hätten sich die Schulen dann bewährt, wenn sie bei den Lernstandserhebungen und den Abschlüssen
am Ende der Sekundarstufe 1 mit akzeptablen Ergebnissen aufwarten können, wobei der Maßstab zu
definieren wäre, was dann am jeweiligen Schulstandort als akzeptabel zu gelten hätte. Erstmalig haben die 5
Primus-Schulen an den Lernstandserhebungen 2017 mit respektablen Ergebnissen teilgenommen.
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Tab. 2: Anmeldezahlen an den Primus-Schulen
Teilweise werden die Primus-Schulen von mehr Schüler/innen angewählt als die Schulen aufnehmen
können. Für Viersen und Schalksmühle liegen Anmeldungen aus Nachbargemeinden
vor. Der Primus-Schule Titz ist es aufgrund der hohen Nachfrage ermöglicht worden, eine
dritte Lerngruppe in Klasse 5 im Schuljahr 2018/19 zu bilden.
Der konsistente strukturelle wie auch pädagogische Rahmen der Verbindung von Primarund
Sekundarstufe eröffnet für die Schüler/innen und ihre Eltern einen von Selektionsdruck
entlasteten Horizont für die Planung und Gestaltung ihrer Bildungsgänge.
Der Anlage des Schulversuchs ist das Potenzial inhärent, die Schüler/innen vor drastischen
äußeren Brüchen zu bewahren und so Übergänge zu entspannen. Der Besuch einer Primus-
Schule ermöglicht den Schüler/innen die Erfahrung sozialer Kontinuität und entlastet sie genauso
wie ihre Eltern, die sonst bereits nach Klasse 4 weitreichende Schulwahlentscheidungen
zu treffen haben, vom üblichen Selektionsdruck. Die Haltekraft wird sich erstmalig beim
Wechsel der im Gründungsjahr der Primus-Schulen als Erstklässler/innen angemeldeten Kinder
in die 5. Klasse zeigen. Nach den ersten Erfahrungen der Schulleitungen aus Elterngesprächen
sind es nur sehr wenige Schüler/innen bzw. Eltern, die beabsichtigen, auf eine andere
Schule beim Übergang in den 5. Jahrgang zu wechseln, und die dies dann auch tatsächlich
tun. Die allermeisten Schüler/innen entwickeln eine starke Identifikation mit ihrer Primus-
Schule, was auf hohe bisher entfaltete Haltekräfte der Schulen schließen lässt. In der wissenschaftlichen
Begleitung der zweiten Phase kann dieser Themenkomplex genauer als bisher
möglich durch Interviews mit Schüler/innen und Eltern beleuchtet werden.
In der Primus-Schule Minden fand der Übergang der ersten Primus-Schüler/innen erstmals im
Schuljahr 2017/18 statt, für die anderen vier Standorte wird er erstmals zum Schuljahr
2018/19 stattfinden. In der Primus-Schule Minden sind beim Übergang in die fünfte Klasse
lediglich zwei Schüler/innen von der Primus-Schule auf eine Realschule gewechselt; für die
anderen Standorte zeichnet sich bis auf eine Ausnahme ebenfalls ab, dass es beim Wechsel
der ersten Kohorte von Primus-Schüler/innen in die fünfte Klasse nur vereinzelte Abmeldungen
geben wird. Abmeldungen sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die Zukunftsperspektiven
der Schulen – etwa wie im Fall der Primus-Schule Viersen die zentrale Gebäudefrage
– ungeklärt sind bzw. ungeklärt bleiben.
Die Aufbauphase zeigt, dass die Primus-Schulen in den ersten Jahren in der Entwicklung
der Jahrgangsmischung unterschiedliche Wege eingeschlagen haben. Innerhalb des verbindlichen
pädagogischen Rahmens sind verschiedene Modelle der Umsetzung zielführend.
Ein Motiv für die Etablierung jahrgangsgemischter Lernarrangements an den Primus-Schulen
ist die Integration der Schulstufen im Übergang von Klasse 4 nach 5. Grundsätzlich ermöglicht
das jahrgangsgemischte System eine Flexibilisierung der Verweildauer in einer Stufe.
Schüler/innen dürfen mehr oder weniger Zeit für einen bestimmten schulischen Abschnitt
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brauchen. Jahrgangsübergreifender Unterricht eröffnet hierfür deutlich bessere Möglichkeiten
als in jahrgangsgebundenen Lerngruppen, die nicht mit einer Etikettierung leistungsschwacher
bzw. besonders unterstützungsbedürftiger Schüler/innen verbunden sind.
Bei fünf Primus-Schulen, die der Schulversuch insgesamt umfasst, sind vier unterschiedliche
Konzepte jahrgangsübergreifender Lerngruppen entstanden (vgl. Abb. 1). Während die beiden
Primus-Schulen in Minden und Münster eine Jahrgangsmischung in drei Jahrgänge umfassenden
Lerngruppen so lange wie möglich realisieren und die noch nicht existierende 10.
Klasse als jahrgangshomogenen Abschlussjahrgang belassen, organisiert die Primus-Schule in
Schalksmühle die Stufen 1 und 2 in gleicher Weise und nimmt dann in der Sekundarstufe
nach Jahrgangsstufe 6 eine Mischung in Doppeljahrgängen vor. Alle drei Modelle zeichnen
sich dadurch aus, dass sie die im klassischen Schulsystem vorkommende Zäsur zwischen
Primar- und Sekundarstufe in jahrgangsgemischten Lerngruppen auf der Ebene der Lerngruppenorganisation
verklammern. An den Standorten Viersen und Titz ist dies – bezogen auf die
Ebene der Einrichtung von festen Lerngruppenverbänden – nicht der Fall. In Viersen werden
durchgehend Doppeljahrgänge gebildet, wodurch der Übergang in die Sekundarstufe im Hinblick
auf die Lerngruppenorganisation nicht verklammert ist. Beide Schulen arbeiten aber
konzeptionell den Übergang von 4 nach 5 aus und versuchen die Verklammerung auf der
Ebene des Lehrereinsatzes und der curricularen Strukturen pädagogisch auszugestalten.
Abb. 1: Implementierte Organisationsformen der jahrgangsgemischten Lerngruppenbildung
Derzeit steht in allen Schulen noch der Schritt in die jahrgangsübergreifende und inklusive
Arbeit der Klasse 7-9 aus. Die Diskussion um das Verhältnis von (weniger) Fachunterricht
und (mehr) Klassenlehrerunterricht ist ein Hinweis darauf, dass die Entwicklung eines schul10
intern nötigen Curriculums und der entsprechenden Materialien und einer geeigneten Leistungsbeurteilung
dazu für die Lehrkräfte eine große Aufgabe darstellt.
Der sichere Umgang mit grundlegenden Arbeitsweisen ist eine wesentliche Voraussetzung für
selbstständiges Lernen. Daher ist es wichtig, die im Elementar- und Primarbereich entwickelten
Kompetenzen in den nachfolgenden Jahrgängen durch anschlussfähige Lernarrangements
ohne größere Brüche weiter auszubauen, damit den Schüler/innen ein kumulativer Kompetenzerwerb
ermöglicht wird.
Für die Lehrkräfte ist der Anspruch konstitutiv, die Heterogenität in den jahrgangsübergreifenden
Lerngruppen anzuerkennen und die Kinder individuell zu begleiten. Aus Sicht der
Lehrkräfte trägt dies dazu bei, dass die Schüler/innen einen offenen Umgang mit unterschiedlichen
Leistungsständen pflegen. Alle Kinder können sich prinzipiell trotz sichtbar unterschiedlicher
Leistungen gleichberechtigt einbringen. Das impliziert aus der Sicht der Schulleitungen
und Lehrkräfte, dass im Schulversuch PRIMUS im Allgemeinen ein positives Sozialklima
das Lernen erleichtert und Inklusion ermöglicht wird.
Von dem Schulversuch gehen positive Impulse auf die Professionsentwicklung an Primus-
Schulen aus. Veränderte berufliche Anforderungen bewegen die Lehrkräfte zu einer Arbeit
am eigenen beruflichen Selbstverständnis.
Gleichermaßen wirkt sich die stufenübergreifende Anlage des Schulversuchs auch auf die
Lehrkräfte aus, die in den Primus-Schulen arbeiten. Die Grundschullehrkräfte sind davon befreit,
frühe Selektionsentscheidungen in Form von Laufbahn- bzw. Übergangsempfehlungen
zu treffen. Im Schulversuch wird so eine zentrale Paradoxie der Grundschule – jene zwischen
‚fördern zu wollen’ und ‚selektieren zu müssen’ – unwirksam. Darüber hinaus erwächst für
alle Lehrämter, die in den Primus-Schulen tätig sind, aus der Maßgabe schulstufenübergreifender
Unterrichtstätigkeit und Zusammenarbeit nicht nur die Anforderung, sich auf Kooperation
einzulassen, sondern auch am stufenbezogenen pädagogischen Selbstverständnis des eigenen
Lehramts zu arbeiten und dieses im Austausch mit den Kolleg/innen im Schulversuch
zu erweitern. Die Lehrkräfte im Schulversuch stellen sich dieser Anforderung und werden
selbst zu Lernenden, deren professionelle Selbstverständnisse in Bewegung geraten. Mit Blick
auf die Langform nehmen sie eine erweiterte pädagogische Verantwortlichkeit für ihre Schüler/
innen wahr. Es deutet sich in den Interviews mit den Lehrkräften an, dass die Kontinuitätserfahrungen
in der Primus-Schule auch ihnen neue Sinnressourcen erschließen, z.B. längerfristig
an der schulischen Entwicklung und dem Bildungserfolg der Schüler/innen teilhaben
und teilnehmen zu können. Die Lehrkräfte können den Schulversuch als Kontext der eigenen
beruflichen Weiterentwicklung nutzen.
Primus-Schulen stellen sich in besonderer Weise den Anforderungen der Inklusion. Um
dem gerecht werden zu können, benötigen sie besondere Ressourcen.
Die Entlastung vom Selektionsdruck im Übergang in die Sekundarstufe und auch das Profil
der Primus-Schulen als inklusive Schule in einem Umfeld nicht-inklusiver Schulen macht
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diese unter Umständen besonders für Eltern interessant, deren Kinder einen besonderen Unterstützungsbedarf
haben und die sich in schwierigen Lebenslagen befinden. Daraus kann das
Problem resultieren, im Umfeld eher als Förderschule denn als inklusive Schule, die zu allen
Abschlüssen führt, wahrgenommen zu werden. Dies könnte zu einer Abwendung von solchen
Eltern führen, deren Kinder ein hohes Leistungspotenzial mitbringen. Solche Entwicklungen
sind in Zukunft genau zu beobachten und in der Ressourcenzuweisung zu berücksichtigen.
Primus-Schulen arbeiten als inklusive Schule nicht unter den Ausstattungsbedingungen von
Förderschulen. Sie benötigen aber im Falle einer hohen einzelschulischen Inklusionsquote
möglicherweise auch eine höhere Zuweisung an (sonderpädagogischen) Ressourcen. Das
Ressourcenproblem lässt sich durch die Umstellung auf jahrgangsgemischte Lerngruppen
nicht entschärfen.
Vor diesem Hintergrund kann auch die Frage nach dem Umgang mit dem Etikettierungs-
Ressourcen-Dilemma in Primus-Schulen in besonderer Weise virulent werden. Damit Kinder
zu ihrem Recht auf besondere Unterstützung und Nachteilsausgleich kommen, muss eine Statuierungsdiagnostik
bzw. ein AO-SF-Verfahren durchgeführt werden, das Schüler/innen als
solche mit einem besonderen Unterstützungsbedarf identifiziert und festschreibt, was von den
Schulleitungen und Lehrkräften aufgrund der damit einhergehenden Etikettierung aus pädagogischer
Perspektive eher kritisch gesehen und abgelehnt wird. Um den Förder- und damit
Ressourcenbedarf nach außen sichtbar zu machen und zieldifferentes Unterrichten zu ermöglichen,
ist das Feststellungsverfahren jedoch erforderlich. Eine Entschärfung dieses Dilemmas
wird nur dann gelingen, wenn die Schulen möglichst grundständig mit ausreichenden Ressourcen
ausgestattet werden, so dass ein ressourcensicherndes AO-SF-Verfahren verzichtbar
wird.
5 Ausblick auf die zweite Phase der wissenschaftlichen Begleitung
Der Schulversuch PRIMUS zielt auf eine Entdramatisierung des Übergangs von der Grundschule
in die Sekundarstufe, der im erziehungswissenschaftlichen Diskurs als einer der neuralgischen
Punkte für das Entstehen von Bildungsbenachteiligungen im deutschen Bildungssystem
benannt wird. Mit der Einführung von Jahrgangsmischung über die Primarstufe hinaus,
insbesondere mit der Etablierung der Jahrgangsmischung in den Jahrgängen 4-6, werden
die Primus-Schulen in den nächsten Jahren in Prozesse der Schulentwicklung involviert sein,
für deren Gestaltung es bundesweit wenige Vorbilder gibt. Gleichzeitig geben diese der Primus-
Schule ihre spezifische Gestalt. Insofern wird die Gestaltung des Übergangs und die dazu
von der jeweiligen Schule gewählte Form der Jahrgangsmischung ein zentraler Ausgangspunkt
für die wissenschaftliche Begleitung sein. Mit der Frage nach der Haltekraft der Primus-
Schulen am Übergang in die Sekundarstufe werden neben den bisher im Fokus der wissenschaftlichen
Begleitung stehenden Perspektiven der Schulleitungen auf die Entwicklung
der Primus-Schule zusätzlich die Akteursgruppen der multiprofessionellen Teams, der Eltern
und der Kinder relevant.
Die wissenschaftliche Begleitung wird daher in der zweiten Projektphase von 2017 bis 2020
neben den regelmäßigen Follow-up-Interviews mit den Schulleitungen möglichst professionsgemischte
Gruppendiskussionen, Gruppeninterviews und Einzelinterviews mit Kindern und
Interviews mit Eltern durchführen. Zuletzt wird auch von der im Rahmen der wissenschaftli12
chen Begleitung entstehenden Promotionsstudien Beiträge zur Begleitforschung erwartet. Die
wissenschaftliche Begleitung wird sich an den beiden Standorten arbeitsteilig organisieren:
Die Universität Münster zeichnet für die Erhebung und Analyse der Daten aus der Eltern- und
Kindperspektive verantwortlich, die Universität Bremen wird die Schulleitungs- und Lehrerinterviews
durchführen und auswerten. Unberührt davon bleibt die Vereinbarung, dass jede
der 5 Schulen klare Ansprechpartner hat, so wie dies in der ersten Begleitphase bereits der
Fall war. Am Ende des zweiten Begleitzeitraums wird die wissenschaftliche Begleitung einen
Abschlussbericht vorlegen.
Wie auch in der ersten Begleitphase soll in der wissenschaftlichen Begleitung im Sinne einer
formativen Evaluation eine doppelte Ausrichtung weiterverfolgt werden, nämlich zum einen
eine Analyse der Entwicklungsarbeit wie zum anderen eine laufende Unterstützung der Schulen
durch regelmäßige Vernetzungsangebote und auch durch jeweils im Einzelnen mit den
Schulen zu vereinbarende Hilfestellungen.
6 Empfehlungen
1. Die Primus-Schulen benötigen flexible und zuverlässige äußere Rahmenbedingungen vor
Ort und administrative Regelungen, die ihren Bestand auch als kleinere Einheiten sichern
können.
Auch wenn die Dreizügigkeit erstrebenswert ist, sollte eine Primus-Schule grundsätzlich
ebenso regulär als zweizügige Schule geführt werden können. Die Möglichkeit des Seiteneinstiegs
in Klasse 5 sollte möglichst kontrolliert und im Umfang geringgehalten werden. Wenn
Primus-Schulen zu viele Schüler/innen erst in der fünften Klasse aufnehmen, konterkariert
dies die Grundidee des Schulversuchs einer kontinuierlichen Bildungsbiografie und stellt die
Schulen vor schwierige Bedingungen im Hinblick auf die Lerngruppenbildung. Insgesamt
sind – wie bereits geschehen – auch weiterhin passgenaue administrative Regelungen für die
Langform durch die Schulaufsicht zu finden. Dazu ist weiter für einen regelmäßigen Austausch
der zuständigen Dezernent/innen der fünf beteiligten Bezirksregierungen mit dem
MSB und den Schulleitungen zu sorgen.
Die Primus-Schulen benötigen gerade als Schulen im Aufbau, die sich parallel mit verschiedenen
Entwicklungsaufgaben auseinandersetzen, ausreichende personelle Ressourcen, um
ihre Entwicklungs- und Leistungsprozesse in Einklang zu bringen.
An den Standorten müssen die räumlichen Voraussetzungen in Bezug auf Teil-
Standortlösungen und Gebäudeausstattungen geklärt sein, sonst belastet dies die Haltekraft im
Inneren und das Image der Schulen und damit deren Anziehungskraft nach außen, insbesondere
gegenüber Eltern.
2. Die Begrenzung des Schulversuchs auf 5 Einzelschulen bietet Chancen, die in konzertierter
Schulentwicklung noch effektiver genutzt werden sollten.
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Auch wenn sich die Primus-Schulen auf individuellen Wegen der Schulentwicklung mit dem
Anforderungshorizont des Schulversuchs auseinandersetzen müssen, sind die mit den beiden
Primus-Fachtagungen in 2017 und 2018 begonnenen Vernetzungsbemühungen der Primus-
Schulen fortzusetzen und möglicherweise zu intensivieren. Der weitere Ausbau zu einem aktiven
Netzwerk des Schulversuchs ist anzuraten. Dies nicht nur, um bei aller Varianz auch
eine relative Kohärenz des pädagogischen Profils im Schulversuch zu bewahren. Eine intensivierte
Entwicklungszusammenarbeit fördert auch auf der kollegialen Ebene die Identifikation
der Lehrkräfte mit dem Schulversuch und macht die Schulen an ihren Standorten mehr als
Teil eines mehrere Schulen umfassenden landesweiten Vorhabens sichtbar, nicht als jeweils
„exotische“ solitäre Modellschule.
Die Begrenzung des Schulversuchs auf 5 Einzelschulen ist als besonderes Setting für standortübergreifende
Schul- und Unterrichtsentwicklung zu begreifen. Zu denken wäre hier etwa
an gemeinsame schulinterne Lehrerfortbildungen, die von jeweils einer Primus-Schule ausgerichtet
und zu denen Lehrkräfte der anderen Primus-Schulen eingeladen werden könnten.
Denkbar wäre darüber hinaus auch die Einrichtung von Fokusgruppen zu übergreifenden
Themenstellung der Entwicklung im Schulversuch. Mit solchen Aktivitäten würde nicht nur
die Ebene der Schulleitungen in einen kontinuierlichen ergebnisbezogenen Austausch gebracht,
sondern ebenso die operative Ebene der Kollegien, die schulübergreifende professionelle
Lerngemeinschaften auf Zeit bilden könnten. Für die Zusammenarbeit könnten auch die
Möglichkeiten einer elektronischen Zusammenarbeit auf geeigneten digitalen Plattformen
ausgelotet werden.
3. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt sollte über Perspektiven der Bestandserhaltung und Szenarien
der Verstetigung der 5 Primus-Schulen nachgedacht werden, die über den schulrechtlich
fixierten Versuchszeitraum hinausreichen.
Es ist bereits jetzt zu überlegen, wie die Zukunft der Primus-Schulen nach Auslaufen der
schulrechtlichen Regelungen ab 2024 bzw. 2023 (für die Primus-Schule Minden) sichergestellt
werden kann. Für die Eltern der Schüler/innen, die die Primus-Schulen mit einem großen
Vertrauensvorschuss ausstatten, ist eine verlässliche Zukunftsperspektive bzw. Bestandsgarantie
notwendig. Die Zukunftsperspektive und Bestandsfrage wird gerade auch im Hinblick
auf das Elterninteresse umso drängender, je näher das Ende des Versuchszeitraums
rückt. Um einem Vertrauensverlust vorzubeugen, sollten gegenüber den Eltern der zukünftigen
Kohorten belastbare Aussagen über den Fortbestand über den Versuchszeitraum möglich
sein. Auch wenn danach der Schulversuch erst sukzessive ausläuft, kann die zunehmende
Ungewissheit für die zukünftigen Jahrgänge Eltern abschrecken und zu einer Hypothek für
die Schulentwicklung im Schulversuch werden. Gewissheit und Planungssicherheit sind überdies
auch für Lehrkräfte wichtige Gründe, die die Entscheidung für eine Stelle an einer Primus-
Schule mitbestimmen.
4. Die Primus-Schulen bieten eine tragfähige schulstrukturelle Option für die ländlichen
und kleinstädtischen (Titz, Schalksmühle) bzw. sozialräumlich besonders abgegrenzten
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Standorte (Viersen, Minden, Münster), wo sie ein vollständiges und erreichbares Schulangebot
erhalten.
Einen Erfolg des Schulversuchs in angebotsschwachen Regionen verdeutlicht insbesondere
die Primus-Schule in Titz, die sich nach Zweizügigkeit am Start nun in Richtung Dreizügigkeit
entwickelt. Gerade wegen seines pädagogischen Profils kann der Schulversuch – jenseits
des Szenarios der Standortrettung – unter Bedingungen eines ausdifferenzierten Schulangebots
genauso auch in einer Großstadt wie Münster genügend Attraktivität entfalten. Voraussetzung
hierfür ist eine umsichtige Schulentwicklungsplanung durch den Schulträger und eine
langfristige Perspektive für Eltern und Schüler/innen einer Primus-Schule auf ein anregungsreiches
und vielfältiges Schulangebot auch in der Sekundarstufe 1 und 2. Einige der Primus-
Schulen bauen bereits zum jetzigen Zeitpunkt, lange vor dem Übertritt der ersten Schüler/
innen in die gymnasiale Oberstufe, eine aktive Zusammenarbeit mit jenen Schulen auf, mit
denen für den Anschluss nach Klasse 10 Kooperationsvereinbarungen abgeschlossen wurden.
So wird bereits frühzeitig eine attraktivitätssteigernde Orientierung auf die Oberstufe möglich.
5. Die wissenschaftliche Begleitung empfiehlt einen Wissenstransfer aus den Primus-
Schulen hinaus in eine breitere Öffentlichkeit, um die Sichtbarkeit des Schulversuchs zu
erhöhen und Impulse für andere Schulstandorte zu geben.
Es sollte überlegt werden, in welcher Weise bereits zum jetzigen Zeitpunkt und in den nächsten
Jahren konkret Impulse aus dem Schulversuch PRIMUS an anderen Standorten bzw. für
andere Schulträger und Einzelschulen in Nordrhein-Westfalen gegeben werden können. Primus-
Schulen bieten nicht nur eine schulstrukturelle Alternative im Sinne von Verbundlösungen
für die Einrichtung von Schulcampussen. Sie können aufgrund ihres pädagogischen Profils
als inklusive ganztägige stufenübergreifende und jahrgangsgemischte Langformschulen
die damit verbundenen Erfahrungen und das Wissen aus der Schul- und Unterrichtsentwicklung
an anderen Standorten übermitteln.